Die anderen Bands der DDR: Sandow "Heikel wurde es, als sich die Texte ein bisschen politisierten"
Ab Mitte der 80er verkörperte eine ganze Riege junger, unangepasster Bands mit ihrer Musik das Lebensgefühl der DDR-Jugend und prägten somit den Sound der Wende. Mit dabei: Sandow aus Cottbus. Sänger Kai Uwe Kohlschmidt erinnert sich an einen Wendehit, staatliche Zensur und neue Konflikte nach der Wende.
hr1: Es gibt einen Song, der ganz eng mit Sandow verbunden ist: "Born in the GDR". Kannst du die Geschichte dieses Liedes kurz erzählen?
Kai Uwe Kohlschmidt: "Born in the GDR" ist nach dem Bruce-Springsteen-Konzert 1988 in Ost-Berlin entstanden. Da sangen rund 160.000 Menschen mit Bruce Springsteen dessen Hit "Born in the USA". Unser Song reflektiert das ironisch-sarkastisch mit Problematiken die in der DDR lagen. Wir haben den Song relativ schnell geschrieben. Vielleicht in einer Stunde oder so. Für mich war das Lied damals ein emotionaler schneller Schuss. Durch einen Zufall kam der Song relativ schnell bei DT64 ins Radio. Es war ein Live-Mitschnitt von einem Konzert in Suhl, den die einfach gesendet haben, ohne dass da was kontrolliert wurde oder die Zensur zuschnappte. Und ab dem Moment entwickelte es schnell ein Eigenleben und wurde dann so eine Art Wendehit. Aber wie so oft liegt der Irrtum im Erfolg. Denn später wandelte sich das Lied in seiner Rezeption bei den Leuten und sie reklamierten es nach der Wendezeit für den Verlust. Das bekam dann plötzlich so einen ostalgischen Anklang den wir nie wollten und wir haben das Lied dann auch nicht mehr gespielt.
hr1: Hat es euch geärgert, dass euer Lied nach der Wende von einigen umgedeutet wurde?
Kai Uwe Kohlschmidt: Es hat uns nicht geärgert. Es war uns eher lästig, weil die Leute das Lied permanent auf Konzerten einforderten. Wir hatten aber mit der Attitüde die das Lied inzwischen bekommen hatte, dieses rückwärtsgewandte "Wo ist meine DDR geblieben" nichts mehr zu tun. Wir konnten das natürlich verstehen. Aber für uns ging es nach der Wende richtig nach vorne. Wir waren Anfang 20 und hatten uns genug mit der DDR beschäftigt. Da war ein Strich drunter. Für uns stand das ganze Neue im Raum. Und schon gar nicht wollten wir unseren künstlerischen Ausdruck in Verbindung mit einem Staat sehen. Egal, ob das nun die DDR oder die BRD ist. Wir brauchten unseren Kaiser nicht zurück.
hr1: Hattet ihr beim Schreiben des Songs keinerlei Bedenken dass er der Zensur in irgendeiner Form zum Opfer fallen könnte.
Kai Uwe Kohlschmidt: 1988 hatte ich schon weit über 100 Texte geschrieben. Da hatte sich schon dieses metaphorische Schreiben herausgebildet, das ich erst lernen musste um halbwegs unterm Radar zu bleiben. Das war eine Sprachtechnik mit der man mit den anderen Eingeborenen in der Zone kommunizieren konnte. Die konnten das wiederum dechiffrieren und zwischen den Zeilen lesen. Das konnte die Stasi sicher auch. Aber die haben auch geguckt, dass sie nicht alles tot machen. Konnten sie ja auch nicht. Deswegen waren solche Zeilen erst mal möglich, zumindest live. Kritisch wurde es um den Song als der 1989 auf unser erstes Album kommen sollte. Dort haben sie einen Riegel davor geschoben und das ging hoch bis zum Kulturminister. Von wo endgültig die Absage für das Album kam, wenn wir darauf bestehen dass "Born in the GDR" rauf soll. Und dann kam unser Album in den Giftschrank bis die Mauer fiel.
hr1: Was konkret störte die Zensoren?
Kai Uwe Kohlschmidt: Vermutlich wurde uns das Zitat von Kurt Hager übelgenommen, der ja gesagt hatte, wenn der Nachbar tapeziert, müssen wir das noch lange nicht machen. Also diese Anspielung auf die Perestroika. Weil wir ihn in einen albernen Zusammenhang stellten, wurde das als Majestätsbeleidigung aufgefasst. Aber genau wurde uns das nicht gesagt. Es wurde einfach nur abgelehnt und wir wurden aufgefordert ein anderes Lied dafür aufs Album zu nehmen, was für uns nicht in Frage kam.
hr1: Mit welchen anderen Schwierigkeiten hatte Sandow zu kämpfen?
Kai Uwe Kohlschmidt: Wir hatten ziemlich lange wenige Schwierigkeiten. Außer so herkömmlichen Problemen: Wie bekommt man Equipment, einen Proberaum - so normale Dinge, die andere Bands auch hatten. Heikel wurde es, als sich die Texte ein bisschen politisierten. Haarig wurde es 1988 bei unserem ersten Theaterstück. Das führten wir nicht am Theater sondern auf normalen Clubbühnen auf. Es hieß "Aufbruch und Aufruhr". Ich glaube schon der Titel war zu provokant. Und dann bekamen wir Besuch. Unser Proberaum wurde aufgebrochen. Die Texte verschwanden alle. Zum Glück wurden wir von einem Kulturmitarbeiter gewarnt, dass wir vor dem Abschluss stehen und verhaftet werden, wenn wir das weiter aufführen. Danach mussten wir uns sehr genau überlegen was wir tun. Denn das Wichtigste für uns war ja immer, eine kleine operierende Zelle zu sein und diese Band zusammenzuhalten. Aber sie versuchten es auch mit anderen Mitteln. Ich bekam zum Beispiel den Einberufungsbefehl. Den konnte ich abwimmeln, weil wir mit der DEFA wegen des Films "Flüstern & Schreien" einen Vertrag hatten. Aber letztendlich mussten wir das Theaterstück nach drei Aufführungen einstellen. Sonst wären wir wohl abgewandert. Sie machten dir klar, wie weit sie etwas dulden oder ab wann sie dich vielleicht tödlich umarmen. Wir wurden auch immer wieder umgarnt, indem sie uns FDJ-Förderverträge anboten, die wir aber immer ablehnten. Das wäre vom Image her natürlich tödlich gewesen, wenn du als Punkband mit einem FDJ-Vertrag durch die Gegend tourst. Gleichzeitig spielte man aber in FDJ-Clubs. Es gab ja keine anderen. Also es war immer ein Eiertanz.
hr1: Du hast den Film "Flüstern & Schreien" erwähnt, in dem Sandow eine wichtige Rolle spielt. Wie ist es zu der Zusammenarbeit mit der DEFA gekommen?
Kai Uwe Kohlschmidt: Wir sind da relativ zufällig hineingeschlittert. Chris (Chris Hinze, Gitarrist bei Sandow, Anm. d. Red.) und ich trafen auf dem Weg zu einer FDJ-Werkstattwoche für Rockmusik im Zug zufällig den Regisseur und den Dramaturgen des Films. Wir kamen ins Gespräch und denen gefiel, was wir so im Sommer trieben. Wir fuhren nämlich oft mit Fahrrädern an die Ostsee und machten einfach so Lagerfeuerkonzerte. Das war aus filmischer Sicht für die sehr interessant. Da war nicht nur eine Band, die im Proberaum rumsteht oder langweilig im Tourbus rumsitzt. Das waren andere Bilder. Und weil ihnen auch noch unser inhaltlicher Anspruch gefiel, kamen wir noch mit in den Film rein.
hr1: Man sieht euch im Film an der Ostsee radeln, am Strand, auf der Bühne. Wie authentisch gibt der Film das alles wieder?
Kai Uwe Kohlschmidt: Das ist komplett authentisch. Wir waren eine Woche zusammen und das Filmteam begleitete uns einfach. Das sind ausgemachte Dokumentarfilmprofis. Wir haben gar nicht gemerkt, dass da gefilmt wird. Daher glaube ich, dass der Film die Zeit sehr gut eingefangen hat. Die beiden Hauptautoren des Filmes, Dieter Schumann und Jochen Wisoskie, hatten im Vorfeld sehr gut recherchiert und waren außerdem in ihrem eigenen Universum unterwegs. Sie dachten gar nicht mehr groß nach, was man eigentlich zeigen darf und was vielleicht der Zensur zum Opfer fallen wird. Und diese Sorgfalt wirkte sich in der Authentizität aus. Letztendlich ging das Werk ohne Zensur über die Bühne.
hr1: Hat es für Sandow einen Unterschied gemacht, ob ihr in kleineren Orten und Dörfern spielt oder in den großen Städten?
Kai Uwe Kohlschmidt: 1987 war die Band fünf Jahre alt und hat noch nicht auf so großen Bühnen gespielt. Das war wirklich die kleinere Clubebene. Und dieses Vagabundierende das war uns durchaus vertraut. Einfach mit der Wanderklampfe an Lagerfeuern zu spielen war unser Metier. Heute würde man Straßenmusiker sagen. Aber damals war das nicht auf der Straße, sondern eher in der Landschaft.
hr1: Fühltet ihr euch da unbeobachteter, in Hinblick auf die Kontrolle durch den Staat?
Kai Uwe Kohlschmidt: Das war nicht der Hintergrund dafür, dass wir am Strand Musik gemacht haben. Und dass es eine permanente Beobachtung gab, ist ja eine Projektion von heute. Das würde man gar nicht aushalten. Man lebte ja zum großen Teil eine gewisse Normalität und fühlte sich als junger Künstler eher berufen ein Werk in Szene zu setzen als sich immer in der Konfrontation mit einem Staatswesen zu sehen. Natürlich fand das statt. Aber es spielte nicht die erste Geige.
hr1: Wie ging es für Sandow nach dem Mauerfall weiter?
Kai Uwe Kohlschmidt: Wir waren zur Zeit des Mauerfalls in einem Alter und in einer Reife, dass es egal war welche Zeit jetzt neu anbrach. Wir waren so hungrig und künstlerisch so in Fahrt, dass das für uns zu einem sehr guten Zeitpunkt kam. Alles was wir als Erlebnis, als Erfahrung und als Konflikt mit der DDR hinter uns hatten, das hatten wir ausgiebig erlebt. Es war gut, dass etwas Neues begann. Wir hatten sofort ein größeres Indie-Label, das uns unter Vertrag nahm. Wir fuhren ins Ausland. Für uns ging richtig die Post ab. Gleichzeitig kamen aber auch neue Konflikte. Die Auseinandersetzung um kommerzielle Vorgaben, die es auch bei einem Indie-Label gibt. Wir wurden aber künstlerisch immer anspruchsvoller und gingen eher in den Avantgardebereich, was uns neue, kommerzielle Konflikte bescherte.
hr1: Wie schätzt du die Musik von Sandow und den Stellenwert der anderen "anderen Bands" ein?
Kai Uwe Kohlschmidt: Das ist schwer zu beurteilen. Die Musik dieser anderen Bands spricht ja aus ihrer Zeit heraus. Da mag jeder persönlich für sich sehen, ob da was für ihn bleibt oder nicht. Meistens ist es ja so, dass Musik in einem gewissen Alter, besonders wenn man jung ist, prägende Spuren hinterlässt. Es bleibt für diese Generation dann der Soundtrack dieser Zeit. Das ist aber ganz unerheblich davon, in welchem Land man lebt. Letztendlich bleibt etwas, was in irgendeiner Weise etwas ausgelöst hat.
hr1: Hält die Szene von damals heute noch zusammen?
Kai Uwe Kohlschmidt: Die Szene der anderen Bands wird gern von außen als homogen betrachtet, aber das war sie schon in den 80ern nicht. Da herrschte ein ganz schönes Gehacke untereinander, also ganz normale Konkurrenz. Aber die Bands, die damals miteinander befreundet waren, da gibt es auch heute noch Freundschaften. Wir haben ein recht enges Verhältnis mit Die Art. Es gibt aber auch Bands, die man damals schon nicht leiden konnte und das ist heute nicht anders. Im Grunde genommen ist es keine große Familie. Der Begriff "die anderen Bands" ist ja auch von außen entstanden. Die damit gemeinten Bands haben so unglaublich unterschiedliche Spielarten. Es gab Ska, Punk und ambitioniertere Projekte. Das alles wurde mit einem Begriff belegt, der heute gar keinen Sinn mehr macht.
hr1: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Lars Schmidt.
Sendung: hr1 am Samstagmorgen, 9.11.2019, 6-9 Uhr