Die anderen Bands der DDR: Die Art "Wir haben einen Anteil am Soundtrack zur Wende"
Ab Mitte der 80er verkörperte eine ganze Riege junger, unangepasster Bands mit ihrer Musik das Lebensgefühl der DDR-Jugend und prägten somit den Sound der Wende. Mit dabei: Die Art aus Leipzig. Sänger Makarios erinnert sich an Namensprobleme, einen Öko-Song und Ärger mit Amiga.
hr1: Warum hast du damals als junger Mensch in Leipzig angefangen Musik zu machen und eine Band gegründet?
Makarios: Ein Freund von mir fragte mich eines Tages, ob ich nicht Texte für eine Band schreiben kann, die er mit Freunden zusammen machen will. Das habe ich gemacht. Nach 14 Tagen habe ich ihn dann wieder getroffen und gefragt, ob er jemanden hat, der das singt. Da meinte er "Nee" und ich sagte "Dann mach ich das". Und schon war ich in der Band. Das war damals Die Zucht. Wir haben unsere eigene Musik gemacht, weil es die Musik, die wir gerne gehört haben, nicht gab. Und nach und nach kamen immer mehr Bands dazu. Es gab da schon eine recht aktive und vielfältige Szene in Leipzig.
hr1: Welche Schwierigkeiten gab es damals für eine Punkband in der DDR?
Makarios: Die größten Schwierigkeiten waren die, dass man verhaftet wurde und weggesperrt wurde. Und das ist durchaus auch passiert. Was wir damals nicht ernst genommen hatten, war die Infiltration von Bands durch die Stasi. Einige Bands waren regelrecht durchseucht. Uns betrafen diese Schwierigkeiten glücklicherweise nicht. Wir sind nur mit dem Namen Die Zucht angeeckt und haben den dann nach der Einstufung zugunsten des Weiterspielens in Die Art umgewandelt.
hr1: Die Einstufung war die Grundlage für den Erhalt einer Spielerlaubnis, die in der DDR jede Band brauchte um öffentlich auftreten zu können. Wie lief das bei euch ab?
Makarios: Wir haben irgendwann mal gesagt: Wenn wir jetzt schon Musik machen, wollen wird das nicht nur für Freunde und nur als Party und nur illegal. Sondern wir wollen es auch offiziell. Dafür brauchte man eine Spielerlaubnis für Amateurtanzmusik, die sogenannte Einstufung. Der haben wir uns gestellt und die Mittelstufe bekommen. Es gab da Grundstufe, Mittelstufe, Oberstufe, Sonderstufe. Die Spielerlaubnis wurde mit der Maßgabe erteilt, dass wir zwar den Namen Die Zucht behalten können, dann aber auf der schwarzen Liste stehen und keine Auftritte kriegen. Das war die Aussage. Der Name Die Zucht wäre reaktionär. Wir wollten den Namen zwar nicht aufgeben, aber Märtyrer sein bringt ja letztendlich auch nichts. Also lieber spielen und dann unter anderem Namen dieselbe Musik weitermachen. So wurde aus Die Zucht Die Art.
hr1: Wie war dieser Spagat zwischen Rebellion und Anpassung. Welche Zugeständnisse musstet ihr machen?
Makarios: Das ist gar nicht so einfach zu erklären. Das ist ja ein schleichender Prozess. Man stellt sich ja jetzt nicht hin und sagt, das mache ich und das lasse ich. Sondern man ist eine Band, man hat ein gemeinsames Ziel, einen gemeinsamen Ausdruck und man lässt sich nicht einfach so verbiegen in dem man sagt: "Das darfst du machen und das darfst du nicht machen". Man macht gratwandlerisch für sich das Richtige und hofft, dass man damit durch alle Lücken kommt, die der Staat geboten hat.
hr1: Wie groß war die Gefahr instrumentalisiert zu werden?
Makarios: Das ist eine Frage die oft gestellt wird, weil Die Art mit dem Etikett "die anderen Bands" und durch DT64 eine größere Popularität hatte. Außerdem spielten wir 1989 auf diesem Pfingsttreffen der FDJ. Da besteht immer die Gefahr, dass man instrumentalisiert wird. Aber die Frage ist ja - inwiefern man seine Inhalte ändert. Und das haben wir nicht getan. Wir haben schon gewusst, dass solche Konzerte auch eine Art Ventilfunktion für die Jugend ist. Die alternative Jugend ging der DDR ja regelrecht verloren. Und da wurde dann wahrscheinlich zähneknirschend geduldet, was eigentlich nicht geduldet werden sollte.
hr1: Was genau hat sich für Die Art geändert, als ihr der Sendung "Parocktikum" gespielt wurdet?
Makarios: Wir haben das sofort gespürt. Da wir ja keine Schallplatten machen konnten, haben wir in Eigenregie Kassetten hergestellt und vertrieben. Ein Tape haben wir an Lutz Schramm von DT64 geschickt. In der Hoffnung dass er einen Song davon spielt. Und das passierte eines Tages. Als wir an dem darauffolgenden Wochenende ein Konzert hatten, passierte erst nicht viel. Aber als wir den Song spielten, der im Parocktikum gelaufen war, war die Tanzfläche voll. Da haben wir gemerkt, dass die Sendung ihre Hörer erreicht. Für uns war das natürlich ein großes Glück.
hr1: Ihr habt ja auch durchaus kritische Songs geschrieben. Sogar einen Umweltsong, wenn ich "Black Dust" so nennen darf. Was war der Auslöser?
Makarios: Dazu musste man in Leipzig ja nur auf die Straße gehen. Heute kann man sich das gar nicht mehr vorstellen. Alle wollen nach Leipzig. Leipzig ist toll. Die vielen Seen rings herum. Aber das waren damals Tagebaue. Riesige Krater, die sich in Richtung Stadt fraßen und die den ganzen Auenwald weggefressen haben. Ringsherum war Chemie und Kohle und man konnte regelrecht riechen aus welcher Richtung der Wind kommt. Ob aus Leuna, Zschkopau oder Espenhain. Es roch immer wieder anders, aber immer schlimm. Es war wirklich sehr krass. Und das hat dieser Song zum Thema. Aber ohne eine Lösung zu präsentieren.
hr1: Habt ihr Ärger wegen dieses Songs bekommen? Umweltverschmutzung gab es doch offiziell gar nicht.
Makarios: Seltsamerweise nicht. Ärger hatten wir wegen eines anderen Songs. Nämlich "Wide Wide World". Wir haben Ende der 80er Jahre mit Amiga verhandelt, ob wir eine Schallplatte machen dürfen oder nicht. Und da wurde "Wide Wide World" als nicht aufnehmbar eingestuft, weil der Titel in deren Augen Aufforderung zur Republikflucht wäre. Daraufhin haben wir dann die Zusammenarbeit mit Amiga abgebrochen. Entweder wir machen die Lieder die wir wollen oder nicht. Aber mit "Black Dust" gab's kein großes Problem.
hr1: Sicher keine einfache Entscheidung, einen möglichen Plattenvertrag in den Wind zu schießen?
Makarios: Das ist nicht einfach. Man hofft ja doch, mal ein Album machen zu können. Und es ist ja auch etwas Besonderes, wenn man als Independent-Band in der DDR ein Album machen kann. Das haben ja nicht viele aus der Reihe der sogenannten anderen Bands geschafft. Deshalb waren wir schon interessiert, das zu machen. Aber zu den eigenen Bedingungen. Und als "Wide Wide World" abgelehnt wurde haben wir uns gesagt, dann machen wir eben weiter unsere Kassetten. Dass sich kurze Zeit später sowieso alles ändert, hat ja niemand geahnt.
hr1: Das stimmt. 1990 erschien euer erstes Album. Mit "Wide Wide World".
Makarios: Seltsamerweise auf dem gleichen Label, beziehungsweise auf dem Nachfolger von Amiga. Nachdem ein paar personelle Umbesetzungen gemacht wurden, konnten wir unser Album ohne jegliche Vorbedingung produzieren.
hr1: Seid ihr vor dem Mauerfall auf den Montagsdemos in Leipzig gewesen?
Makarios: Ich glaube, fast jeder zweite Leipziger war auf den Montagsdemos. Und wir waren auch dort, wenn auch nicht ständig und in vorderster Front.
hr1: Wie war die Stimmung in dieser Zeit in deiner Heimatstadt?
Makarios: Das war sehr eigenartig. Ich arbeitete zu der Zeit noch in einer Druckerei. Da hatte ich beide Seiten gleichzeitig als Kollegen. Auf der einen Seite die unzufriedenen Menschen, die auf die Montagsdemos gingen und sich davon auch durch nichts abhalten ließen. Auf der anderen Seite die Leute, die zum Beispiel in der Kampfgruppe waren. Das war ja so eine Art pseudomilitärische Truppe, die dann in irgendwelchen Wäldern rings um Leipzig zusammengezogen wurde. Und die sagten "geht nicht auf die Demo!" Das war eine ganz eigenartige Stimmung. Keiner wusste so richtig was passiert. Noch schlimmer war ja, dass in dieser Zeit sehr viele Freundschaften verloren gingen. Auch in unserer Band. Unser Schlagzeuger bekam im September 1989 noch den Einberufungsbefehl zur NVA. Und da hat er sich dann über Ungarn schnell noch abgesetzt, weil das in seinen Augen ein Himmelfahrtskommando war. Alle rechneten ja damit, dass da irgendwas Schlimmes passiert. Was zum Glück ausblieb.
hr1: Wie hast du die Zeit nach dem Mauerfall erlebt? Wie war es für euch als Musiker, sich den neuen Bedingungen anzupassen?
Makarios: Wir haben gar nicht darüber nachgedacht. Wir haben einfach weitergemacht und waren glücklich nun endlich unser erstes Album in Händen zu halten. Wir sind 1990 verstärkt auf Tour gegangen. Waren für zwei Tourneen in Westdeutschland. Für uns öffnete sich plötzlich die Welt. Und das haben wir in allen Facetten ausgekostet.
hr1: Wenn du von heute auf diese Zeit mit Die Art, aber auch auf die anderen alternativen Bands blickst, wie schätzt du deren Bedeutung ein?
Makarios: Das ist schwer zu sagen. Wir sind sicherlich musikhistorisch gesehen nicht wirklich in vorderster Front was die Bedeutung angeht. Das haben ja doch die damals populären DDR-Bands okkupiert. Die hatten zwar nach der Wende eine Karrieredelle. Aber kurz danach waren sie wieder da. Unsere Bedeutung ist, dass wir gezeigt haben, dass es eine alternative Möglichkeit möglich gab, Musik zu machen. Und dass wir da einen Anteil am Soundtrack zur Wende haben, das ist klar. Aber wir sind jetzt nicht so vermessen zu sagen, dass wir irgendwelche Initialzündungen geliefert hätten.
hr1: Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Lars Schmidt.
Sendung: hr1 am Samstagmorgen, 9.11.2019, 6-9 Uhr